01. November 2011, 14:07 Uhr
Volksabstimmung über Euro
Bravo, Herr Papandreou!
Ein Kommentar von Sven Böll
Europa zeigt sich fassungslos: Der griechische Premier will sein Volk über den Euro-Rettungsplan für sein Land abstimmen lassen. Papandreou setzt alles auf eine Karte - doch seine Entscheidung ist richtig.
Hamburg - Man muss das gleich zu Beginn sagen: Die Griechen sollen zur Abwechslung mal wieder selbst entscheiden, wie es mit ihrem Land weitergeht - und mit ihnen selbst.
Sie hatten schon länger keine echte Gelegenheit mehr dazu. Seit anderthalb Jahren steht das einst stolze Land unter fremder Verwaltung, es ist de facto kein souveräner Staat mehr. Wichtigste Aufgabe der Regierung ist es, die Sparprogramme und Strukturreformen durchs Parlament zu bringen und umzusetzen. Diktiert werden sie von der stets strengen Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF). Sonst gibt es kein neues Geld, und das Land wäre von jetzt auf gleich bankrott.
Nicht mehr Herr über seine Finanzen zu sein, um Geld betteln und dafür fast alles tun zu müssen, das ist für mittellose Staaten genauso würdelos wie für arme Menschen. Es kränkt die Seele, macht wütend und lässt einen verzweifeln. Wenn man weiß, dass die eigene Lage auch noch weitgehend selbstverschuldet ist, macht es das nicht besser, sondern nur noch schlimmer.
Es scheint wie eine zur dramatischen Lage passende Verzweiflungstat nach dem Prinzip "Selbstmord aus Angst vor dem Tod", dass der griechische Premier Georgios Papandreou das Volk zur Umschuldung seines Landes befragen will. Die Wähler sollen entscheiden, ob sie die Beschlüsse aus Brüssel mittragen oder nicht.
Der x-te Euro-Rettungsgipfel hatte vergangene Woche beschlossen, dass die privaten Gläubiger gegenüber Griechenland auf die Hälfte ihrer Forderungen verzichten sollen. Weil von den weit mehr als 300 Milliarden Euro Staatsschulden rund 200 Milliarden Euro bei Banken, Versicherungen und Fonds liegen, wäre das Land einen erklecklichen Teil der erdrückenden Kreditlast los.
Drei gute Gründe für Papandreous Entscheidung
Unabhängig davon, wie die Frage des Referendums am Ende lauten wird: Die Griechen werden darüber abstimmen, ob ihr Land in der Euro-Zone bleibt oder die Währungsunion verlässt. Die Regierung könnte die Bürger ganz direkt fragen: "Wollen Sie weiter mit dem Euro bezahlen oder lieber wieder mit der Drachme?"
Wie kann dieser Papandreou nur! Das eigene Volk fragen, das gegen seine Politik Sturm läuft! Da ist doch jetzt schon klar, was rauskommt! So lauten viele spontane Reaktionen auf die Ankündigung des Premiers.
Zumal es bislang die größte Sorge der anderen Euro-Mitglieder war, das Griechenland "Tschüs Euro" sagt. Die Formel zur europäischen Apokalypse geht so: Erst verabschiedet sich Griechenland, dann fallen Portugal und Spanien und dann reißt Italien die Währungsunion mit in den Abgrund. Mit etwas Glück bleibt ein nordeuropäisches Euro-Zönchen übrig.
Keine Frage: Diese Gefahr besteht, wenn die Griechen nein zu den Brüsseler Beschlüssen sagen. Papandreou spielt volles Risiko. Trotzdem ist seine Entscheidung aus mehreren Gründen richtig.
Erstens braucht der Premier eine unmittelbare Legitimation für sein Handeln. Er wurde vor Eskalation der Schuldenkrise gewählt. Die Politik, die er macht, erfordert extreme Schritte. In Griechenland streiten die Parteien nicht über ein bisschen mehr Netto vom Brutto oder eine Vignette für Autobahnen oder die Schließung von ein paar Bundeswehrstandorten. Nein, es wird so brutal gespart wie noch nie in einem entwickelten Land. Würde der deutsche Finanzminister so rücksichtslos die Ausgaben kürzen wie sein griechischer Kollege, müsste er binnen eines Jahres rund hundert Milliarden Euro sparen.
Zweitens betreibt die Opposition in Griechenland Obstruktion. Sie hat auch nach anderthalb Jahren Leiden immer noch nicht verstanden, dass das Land derzeit existentiellere Probleme hat als parteipolitische Mätzchen. Durch eine Volksabstimmung besteht zumindest die Hoffnung, dass die Opposition zur Besinnung kommt. Zumindest muss sie sich klar positionieren, wie sie sich die Zukunft des Landes vorstellt.
Drittens befindet sich Griechenland in einer Abwärtsspirale: Fast alle Bürger sind Opfer der Sparpolitik, viele von ihnen verstehen die Welt nicht mehr und streiken. Wenn aber selbst diejenigen nicht arbeiten, die noch Jobs haben, schadet das der Wirtschaft zusätzlich. Die Konjunktur bricht weiter ein. Neue, härtere Maßnahmen werden nötig. Und so weiter. Würde sich die Mehrheit der Bevölkerung zum eingeschlagenen Weg aus der Krise bekennen, könnte dieser Gruselmodus noch am ehesten beendet werden. Streiks wären dann wohl delegitimiert.
Ermutigende Erfahrungen
Es spricht einiges dafür, dass die Griechen ihren Premier am Ende unterstützen und die Brüsseler Beschlüsse nicht torpedieren werden. Die Mehrheit der Bürger ist der Meinung, es müsse Schluss sein mit dem jahrzehntelangen Schlamassel. Viele überfordert das Tempo der Veränderung, sie sind aber nicht gegen den Richtungswechsel an sich.
Ermutigend sind die Erfahrungen aus anderen Euro-Ländern. Die Schuldenkrise hat bereits mehrere Regierungen weggefegt - etwa in Portugal und Irland. Allerdings gewannen die Parteien eine Mehrheit, die zum Teil noch härtere Sparmaßnahmen ankündigten.
Bis zum Referendum in Griechenland wird es eine intensive Debatte über die beiden Alternativen geben: Brutalo-Sanierung innerhalb der Euro-Zone oder Staatsbankrott mit Drachme-Einführung.
Es wird sich zeigen, dass es dabei nicht um die Wahl zwischen Hölle und Paradies geht. Beide Wege werden schwierig und entbehrungsreich sein. Jeder Bürger muss für sich entscheiden, welchen er für den besseren hält. Er wird etwa überlegen, ob er für einen Austritt aus der Währungsunion sein Vermögen aufs Spiel setzen möchte. Ersparnisse wären bei der Rückkehr der Drachme kaum noch etwas wert.
Zumindest hat es jeder Grieche selbst in der Hand und kann nicht mehr auf die Regierung schimpfen, die sich dem internationalen Diktat beugen. Und selbst wenn die Griechen am Ende nein sagen und das Land im Extremfall die Euro-Zone verlässt, scheinen die Konsequenzen weniger brenzlig als noch vor einem Jahr.
Das Hauptproblem bei einer Rückkehr zur nationalen Währung besteht darin, dass die Drachme massiv abwerten wird. Weil die Schulden aber weiterhin in Euro bestehen, müsste die Regierung immer mehr Drachme aufwenden, um die Euro-Schulden zu bezahlen. Sie wäre rasch bankrott.
Deshalb würde es vorher wohl zu einem noch radikaleren Schuldenschnitt kommen. Dann müssten auch die staatlichen Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Schließlich lagern immer mehr griechische Verbindlichkeiten bei der EZB und den anderen Euro-Staaten. Zu diesem Verzicht käme es wohl auch bei einem Verbleib Griechenlands in der Währungsunion. Nur eben später statt früher.
Die Ansteckungsgefahr für andere Länder scheint nicht mehr so groß. Keinem Land in der Euro-Zone geht es so mies wie Griechenland. Das scheinen inzwischen auch die Akteure auf den Finanzmärkten so zu sehen.